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Journalismus mit Zukunft? Es gilt, die Redaktion neu zu denken!

Wie kann sich Journalismus in Zukunft tragen? In Deutschland ist die Lage nicht gerade rosig. Die einschlägige Forschung dokumentiert sehr anschaulich, dass der Journalismus unter heutigen Marktbedingungen kein stabiles Geschäftsfeld mehr ist, in welchem Erlösquellen beständig sprudeln und Unternehmenserfolge gewissermaßen vorprogrammiert wären.

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Die Anzeigenseite der Zeitung von damals ist zur Hälfte abgebrannt. Ein Sinnbild? (Foto: Mika Baumeister)

Ausschlaggebend dafür sind mehrere Entwicklungen: Erstens verlagern sich die Ausgaben für digitale Werbung immer schneller in Richtung der US-amerikanischen Technologieunternehmen Facebook und Google, die den Werbetreibenden attraktive Umfelder anbieten können, ohne in kostspielige Inhalte investieren zu müssen.

Zweitens ist es Medienunternehmen bisher kaum gelungen, über Werbeanzeigen und Rubrikenmärkte hinausgehende Verbundprodukte zu entwickeln: Diese sogenannte „Komplementärgüter“ sind mit dem Journalismus verknüpft und sorgen für seine Querfinanzierung, wären jedoch ohne die Aufmerksamkeit, die der Journalismus für sie schafft, kaum etwas wert. Drittens verharren die direkten Nutzerzahlungen für Journalismus in Deutschland, auch im internationalen Vergleich, auf insgesamt niedrigem Niveau.

Zahlungsbereitschaft und Wünsche deutscher Online-Nutzer 

Zum letzten Problembereich haben mein Kollege Christian Wellbrock von der Universität zu Köln und ich jüngst die Studie „Money for nothing and content for free“ im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW vorgelegt. Diese Repräsentativbefragung unter deutschen Online-Nutzerinnen und Nutzern belegt, dass rund ein Viertel der von uns befragten Personen im vergangenen Jahr mindestens einmal für digitalen Journalismus bezahlt haben. Auch wenn diese Zahl im Vergleich zu vorangegangenen Studien höher ausfällt, ist Euphorie doch fehl am Platz. Denn im Schnitt liegt die Zahlungsbereitschaft der deutschen Online-Nutzerinnen und Nutzer bei rund 10 Euro pro Monat und damit deutlich unter den tatsächlichen Preisen, die die Verlage gegenwärtig für ihre digitalen Abos aufrufen.

Hinzu kommt, dass sich die Nutzerinnen und Nutzer am ehesten ein anbieterübergreifendes Plattform-Modell wünschen: Das heißt ein Angebot, das Inhalte aus verschiedenen Medien an einem Ort zusammenführt und zu einem festen Monatsbetrag in Form einer Flatrate anbietet. Die Nutzerinnen und Nutzer kennen solche Dienste aus angrenzenden Medienmärkten: Netflix im Videobereich, Spotify in der Musikbranche. Diese Plattformen haben Standards und Preisanker gesetzt, die nun auch im digitalen Journalismus wirksam werden.

Die Studie zeigt deutlich, dass die Zahlungsbereitschaft der deutschen Online-Nutzerinnen und Nutzer für Journalismus – abgesehen von wenigen Nischen – unterentwickelt ist. In der Folge laufen wir Gefahr, dass die heute etablierten Redaktionsstrukturen für hochwertigen Journalismus nicht mehr ausreichend finanziert werden können. Oder zugespitzt gesagt: Die Kostenstruktur der traditionellen Redaktion passt womöglich nicht mehr zu den drastisch gesunkenen Erlösmöglichkeiten im Journalismus. Die Frage der Finanzierung führt uns deshalb auf direktem Wege zu der Frage der zukünftigen Organisation des Journalismus: Welche Organisation trägt den Journalismus der Zukunft?


Zahlungsbereitschaft für digitaljournalistische Inhalte? Christopher Buschow und Christian Wellbrock stellten beim Zahltag der Landesanstalt für Medien NRW die Ergebnisse ihrer groß angelegten Studie vor (Fotos: Christian Herrmann).


Professioneller Journalismus erfordert Medienunternehmen mit Courage

Der professionelle Journalismus wurde in der Vergangenheit erst durch seine Verkoppelung mit dem Verlag und durch die wesentliche Organisationsinnovation des 19. Jahrhunderts – die Redaktion – praktikabel und leistungsstark. Vorfinanzierung der journalistischen Arbeit, die Bereitstellung von Arbeitsumgebungen und Infrastruktur, rechtliche Absicherung sind nur einige der ermöglichenden Rahmenbedingungen, die Verlage und Redaktionen schufen. Wie der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber des Guardian, Alan Rusbridger, in „Breaking News“ schreibt: „Good reporters are rightly celebrated. But they are – generally – only as good as the institution that supports them. If their reporting challenges power, they will need organizational courage behind them“ (S. xxiii).

Wenn die Redaktion jedoch perspektivisch nur noch als Ausnahme, eben dort, wo man sie sich noch leisten kann oder will (öffentlich-rechtlicher Rundfunk, internationale „Love-Brands“ wie New York Times), fortbestehen kann: Wo entsteht dann künftig Journalismus? Und wer schafft seine ermöglichenden Bedingungen? Ziel etablierter sowie neugegründeter Medienunternehmen muss es sein, die Digitalisierung zum Ausgangspunkt für die Suche nach neuen Organisationsformen für professionelles und qualitativ hochwertiges journalistisches Arbeiten zu machen.

Mut zu Experimenten auf allen Ebenen

Es gilt den schwierigen Balanceakt zu bewerkstelligen, einerseits die Erosion der für unsere Demokratie so wichtigen Arbeitsstandards des Journalismus abzuwenden, sie aber andererseits dennoch kostengünstiger zu organisieren. Hierzu nur einige kurze Impulse:

  • Digitale Anwendungen und permanente Vernetzung ermöglichen es heute, journalistische (Zusammen-)Arbeit zunehmend virtuell und über die Grenzen physischer Redaktionsräumlichkeiten hinaus zu bewerkstelligen. Beispielsweise die investigativen Recherchenetzwerke „Panama Papers“ oder „Football Leaks“ verweisen in diese Richtung.
  • Ermöglichende Rahmenbedingungen für den Journalismus, z.B. technologische Infrastruktur oder Controlling-Aufgaben, können heute in weitläufigeren Zusammenschlüssen organisiert werden, ohne dass jeder einzelne Verlag oder jede Neugründung diese unterstützenden Strukturen selbst mühsam und kostenintensiv aufbauen müsste. Überall dort, wo der inhaltlich-publizistische Wettbewerb nicht beeinträchtigt wird, sollten Medienschaffende auf Kooperation setzen – dies unterstreicht auch das jüngste Schweizer „Jahrbuch Qualität der Medien“.
  • Die Öffnung der journalistischen Wertschöpfung für Partnerinnen und Partner sollte auch pro-bono-Kooperationen mit gleichgesinnten Mitstreitern und Komplizen, die sich ebenfalls für die gemeinwohlorientierten Werte des Journalismus einsetzen, in Erwägung ziehen: Juristische Unterstützung oder Qualitätssicherung können Tätigkeitsfelder sein, in denen sich professionelle Unterstützer (Rechtsanwälte, Lektoren) auch gemeinnützig oder zu erheblich reduzierten Tagessätzen einbringen.
  • Auch Automatisierung, z.B. über Verfahren der Künstlichen Intelligenz, gilt es zu erproben. Das meint nicht, einem naiven ‚Roboterjournalismus‘ das Wort zu reden, vielmehr die menschliche Arbeitszeit sinnvoller einzusetzen als für repetitive und standardisierte Aufgaben, die oft schon heute mit geschickt trainierten Algorithmen erledigt werden können.

Zeit für Innovationen: Im Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien NRW entstehen neue Ideen für den Medienmarkt der Zukunft (Fotos: Christian Herrmann)


Es geht also keineswegs um die unbeholfenen Ansätze eines zukunftsabgewandten „Downsizing“ oder „Cost Cutting“, sondern vielmehr darum, die Redaktion neu zu denken: Könnten wir sie auf der grünen Wiese planen, wie sähe heute die geeignete Organisationsform für journalistisches Arbeiten aus? Wenn wir die Frage aufwerfen, wie sich der Journalismus zukünftig trägt, dann müssen wir auch hier ins Experimentieren kommen – denn Finanzierung und Organisation des Journalismus stehen in einem sich gegenseitig bedingenden Wechselverhältnis.

Neue Organisationsformen für journalistische (Zusammen-)Arbeit praktisch zu erproben, ist vorrangig eine unternehmerische, eine verlegerische Aufgabe. Doch auch Journalistinnen und Journalisten sollten sich beteiligen und die Initiative ergreifen. Mancherorts geschieht dies bereits, es sei nur auf innovative Gründungen wie RiffReporter oder Steady verwiesen. Eins jedenfalls scheint klar: Der organisationale Handlungsrahmen für den Journalismus des 21. Jahrhunderts kann nicht ohne Mitwirken der Journalistinnen und Journalisten gestaltet werden.

Hinweis: Dieser Beitrag erschien zuerst als Gastkolumne in „KIEK AN!“, Mitgliederjournal des DJV-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern (Ausgabe 02/2019).

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