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Wir beziehen unserer Hörerinnen und Hörer viel stärker ein als früher

Mit Design Thinking zu besseren Produkten: Die Rheinische Post hat ihren Daily-Podcast „Aufwacher“ überarbeitet. Ein Interview mit der Projektleiterin Helene Pawlitzki

Helene, Du bist Projektleiterin Audio und Podcasts bei der Rheinischen Post in Düsseldorf. In Deinem Projekt geht es um die Neugestaltung des Podcasts „Aufwacher“, der seit 2016 als Daily-News-Format erscheint. Wieso war ein Relaunch fällig?

Der „Aufwacher“ hat viel positive Resonanz erhalten und eine treue Stammhörerschaft aufgebaut. Wir haben aber gemerkt, dass wir uns mehr Gedanken über die Vermarktung machen müssen. Das Problem ist, dass Werbekunden daran gewöhnt sind, in Quantität zu denken. Das ist die gelernte Metrik. Also müssen wir eine Strategie finden, die Reichweite so zu vergrößern, dass sie für Werbekunden interessant wird. Gleichzeitig wollen wir ein noch relevanteres Produkt machen, das in den Alltag der Menschen passt. Daher haben wir uns entschlossen, das Produkt in einem systematischen Prozess noch mal zu überdenken.

In dem Prozess habt ihr euch an Methoden des Design Thinking orientiert. Warum?

In Redaktionen werden Produkte oft aus dem Bauch heraus entwickelt. Damit tappt man aber gleich zweimal in die Falle. Zum einen, weil viele Journalistinnen und Journalisten von sich auf andere schließen und das Produkt auf ihre eigenen Bedürfnisse zuschneiden. Zum anderen neigen Redaktionen dazu, vorhandene Ressourcen zu nutzen: Diese Recherche oder jenen Beitrag gibt es sowieso, machen wir daraus noch etwas für den Podcast. Beim Design Thinking ist es andersherum: Erst schaut man sich sehr genau an, wie das Leben der potenziellen Nutzenden aussieht, um dann ein Produkt zu entwickeln, das in dieses Leben hineinpasst und Bedürfnisse befriedigt.

Wie lief der Prozess konkret ab?

Als erstes sind wir der Frage nachgegangen: Warum hören Leute den „Aufwacher“ oder eben auch nicht? Als Grundlage diente eine Befragung aus dem Jahr 2019. Zudem haben wir eine qualitative Marktforschung in Auftrag gegeben. In jeweils zweistündigen Interviews wurden zehn Personen befragt: fünf „Aufwacher“-Hörer und Hörerinnen und fünf Menschen, die journalistische Podcasts hören, aber nicht den „Aufwacher“. Die Antworten wurden tiefenpsychologisch ausgewertet. Das hat uns schon eine Idee gegeben, wie Podcasts generell ins Leben der Menschen passen und welche Erwartungen sie konkret an den „Aufwacher“ haben. Auf dieser Basis sind wir in die kreative Phase eingetreten. Unter anderem haben wir Brainstormings und eine geführte Ideation veranstaltet.

Was ist unter Ideation zu verstehen?

Das ist eine Form der Ideenentwicklung. Ein Coach hat uns dazu eine Methode nahegebracht, die sich Rapid Mind Movement nennt. Besonders spannend war, dass aus unseren Ideen direkt Konzepte hervorgegangen sind. An der Ideation haben Kolleginnen und Kollegen aus der Redaktion, aber auch aus anderen Verlagsbereichen teilgenommen. Und auch Hörerinnen und Hörer waren dabei. Denen haben wir natürlich auch im Podcast Fragen gestellt, zum Beispiel: „Um wie viel Uhr sollte der Podcast erscheinen?“ Je konkreter die Frage, desto eher kam Feedback. Wer besonders ausführlich geantwortet hat, den haben wir gefragt, ob er oder sie Lust hat, Teil einer WhatsApp-Liste zu werden. Mittlerweile darf ich rund 30 Hörerinnen und Hörern regelmäßig Nachrichten und Fragen schicken, und sie antworten sehr gerne.

Inzwischen ist der offizielle Relaunch erfolgt. Was unterscheidet den neuen „Aufwacher“ vom alten?

Vieles. Wir sind zum Beispiel pünktlicher geworden. Früher wurde der „Aufwacher“ morgens ab fünf Uhr produziert. Je nach Nachrichtenlage oder Aufwand erschien er mal um viertel nach sieben, mal um halb acht. Das war sehr unregelmäßig. Und er war unterschiedlich lang, immer so zwischen zehn und zwanzig Minuten. Jetzt wissen wir, dass die Hörerinnen und Hörer einen pünktlichen Start und eine verlässliche Länge erwarten, damit sie den „Aufwacher“ in ihre Morgenroutine integrieren können. Deswegen haben wir entschieden, dass er immer 15 Minuten lang ist, sonst wird knallhart gekürzt. Damit er pünktlich um fünf Uhr erscheinen kann, produzieren wir am Abend zuvor.

Welche inhaltlichen Neuerungen gibt es?

Wir haben jetzt einen ganz klaren Fokus auf Nordrhein-Westfalen. Es kommen selten Themen vor, die nicht einen deutlichen NRW-Bezug haben. Und wir greifen fast gar nicht mehr auf Audiomaterial von Agenturen zurück. Es geht darum, unsere eigene journalistische Leistung zu präsentieren und den Hörerinnen und Hörern etwas zu bieten, das sie woanders nicht kriegen. Außerdem haben wir zusätzlich zum bisherigen „Aufwacher“ und dem „Aufwacher“ mit Nachrichtenblock aus Düsseldorf eine eigene Ausgabe für Bonn gestartet, den „Bonn-Aufwacher“.

Welche Überraschungsmomente hast Du in der Projektarbeit erlebt?

Es gab immer wieder kleinere Überraschungen. Zum Beispiel als wir ein neues Sounddesign aufsetzen wollten. Im Vorfeld haben wir der Hörer-WhatsApp-Liste sieben Audio-Beispiele geschickt und sie gebeten, über ihre Favoriten abzustimmen. Als Kontrollgruppe diente eine Umfrage in der Redaktion. Das Ergebnis war für mich sehr interessant, weil mein eigener Favorit komplett durchgefallen ist. Außerdem haben uns viele Hörerinnen und Hörer gesagt, sie würden den Podcast am Wochenende vermissen. Auch das hat mich überrascht, weil ich dachte, der „Aufwacher“ sei ein typisches Alltagsprodukt. Wir haben uns dann vier verschiedene Formate überlegt – für jeden Samstag im Monat ein anderes. Da ist zum Beispiel ein „Frag-mich-alles“-Format dabei, das wir in einen Livestream einbinden. Bis jetzt funktionieren alle Ideen ziemlich gut.

Wollt ihr Design Thinking auch künftig für redaktionelle Audioprojekte nutzen?

Ja, wir sind schon dabei. Zum Beispiel nutzen wir es für unsere Podcast-Planungen zur Bundestagswahl. Da beziehen wir die Hörerinnen und Hörer viel stärker ein als früher. Wir fragen sie: Was braucht ihr? Wofür interessiert ihr euch? Außerdem setzen wir auf Prototyping: Wir spielen ausgewählten Hörern eine Episode vor und fragen sie, wie sie ihnen gefallen hat. Auch verlagsweit wird Design Thinking immer wichtiger für die Produktentwicklung.

Den Neugestaltungsprozess des Aufwacher-Podcasts konnte das Journalismus Lab im Rahmen des Programms Audio Innovation unterstützen. 

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