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Recherchekonferenz: kritische Eröffnungsrede und praktische Tipps

Sie ist das Grundwerkzeug eines jeden Journalisten: die Recherche. Und das 21. Jahrhundert bietet Medienschaffenden eine Fülle an Möglichkeiten, für ihre Geschichten allerhand Informationen über die verschiedensten Wege zu sammeln. Der niederländische Autor und Journalist Joris Luyendijk eröffnete die EIJC & Dataharvest 2018 allerdings mit einer provokanten Frage: „Sind investigative Journalisten die nützlichen Idioten der Populisten?“

Eine Hand liegt auf einem Laptop und daneben liegen Notizbücher.
Grundwerkzeug eines jeden Journalisten: die Recherche

Seine Keynote widmet er der Rolle von investigativem Journalismus in Zeiten von Trump, Brexit und Co. Seine Hypothese: Investigative Journalisten unterstützen durch ihre negativen Artikel über die Europäische Union den aufstrebenden Populismus in Europa. Zur Beantwortung dieser Frage macht er einen gedanklichen Sprung in die 1970er Jahre, zurück in die Zeit der so genannten Watergate-Affäre.

Die Aufdeckung dieser Missbräuche von Regierungsvollmachten unter dem republikanischen Präsidenten Richard Nixon bildet den Prototyp erfolgreichen Journalismus‘. Durch den Rücktritt von Präsident Nixon wurde das Vertrauen der Bürger in das System wiederhergestellt. Das zugrunde liegende Prinzip war damals noch einfach: Journalisten decken Machtmissbräuche auf und  verfolgen den Skandal so lange, bis sich das demokratische System zu einer Reaktion gezwungen sieht – eine Art „Selbstreinigungseffekt“. So weit, so gut.

Appell zu ausgewogener und nachhaltiger Berichterstattung

Luyendijk warnt allerdings, dass wir diesen Selbstreinigungseffekt nicht für selbstverständlich halten sollten. Der Großteil an Journalisten arbeite sich quasi “von Skandal zu Skandal“, viele Geschichten würden nicht lang genug verfolgt werden, als das sich Besserungen einstellen könnten. Eine Affäre in den heutigen Zeiten würde das System häufig nicht schwächen, sondern bloß stärker machen.

Hinzu kämen grundlegende Veränderungen des politischen Systems, die wichtige Konsequenzen für die Praxis des investigativen Journalismus‘ mit sich ziehen würden. In der Vergangenheit nutzte die Opposition laut Luyendijk die Offenlegungen von investigativen Journalisten, um Druck auf die Regierung auszuüben und sie zum Handeln zu zwingen. Inzwischen habe eine alarmierende Zahl von Ländern im demokratischen Westen allerdings keine ernst zu nehmende Opposition mehr – dies schmälere den Selbstreinigungseffekt zusätzlich.

Was also tun? Luyendijk fordert, dass Journalisten es nicht beim „bloßen Fingerzeig“ auf Missstände belassen sollten. Vielmehr sei geboten, eine nachhaltige und aussagekräftige Berichterstattung über politische Reaktion auf ihre Enthüllungen zu garantieren – und wenn es keine Antwort gäbe, auch darüber zu berichten. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und fragt: Sollten investigative Journalisten in Zukunft vielleicht auch über Dinge berichten, die besonders gut laufen, die eventuell sogar einen Lösungsansatz bieten?

Besonders in Zeiten des aufstrebenden Constructive Journalism eine Überlegung wert. Er wisse, dass „gute Nachrichten“ eher langweilig seien, keinen großen Nachrichtenwert hätten. Doch was tun angesichts der gegenwärtigen politischen Strukturen in Europa? Wie können Bürger das Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen? Sind investigative Journalisten tatsächlich die nützlichen Idioten der Populisten?

Schwierige Fragen, auf die auch Luyendijk keine einfachen Antworten parat hat. Doch den Konferenzteilnehmern stehen schließlich drei ereignisreiche Tage bevor, die den ein oder anderen Lösungsansatz hervorbringen könnten. (Die komplette Rede kann man nachlesen unter: https://dataharvest.eu/2018/05/29/joris-luyendijks-keynote-speech-at-eijc18

Praktische Recherchetipps für die Personensuche

Wie die Recherche im Netz gelingt und was man dabei beachten muss, hat der TV Journalist und Investigativ-Spezialist Marcus Lindemann in seinem Workshop „Strategies to find personal information“ vorgestellt.

Zunächst empfiehlt es sich zu definieren, wonach man überhaupt sucht: Was ist meine Hypothese? Was sind meine Schlüsselfragen? Alles über jemanden herausfinden zu wollen, ist utopisch und führt in der Regel ins nichts. Lieber sollte man nach spezielleren Details wie konkreten Namen, aber auch Post- und E-Mail-Adressen suchen. Wichtig: Vor allem bei der Suche nach Namen, können unterschiedliche Schreibweisen weiterhelfen. Nur, wer neben „Peter Müller“ beispielsweise auch nach „Müller Peter“, „Peter * Müller“, „P. Müller“ oder „Müller P.“ sucht, kann wirklich alle Ergebnisse abdecken.

Weiterer hilfreicher Tipp: Die „Google Bilder Rückwärtssuche“. Bei Google Bilder kann man Fotos als Datei hineinziehen und nach diesen im Netz suchen. So lassen sich verschiedene Dinge feststellen: Ist das Bild original oder aus dem Internet kopiert? Wird das gleiche Profilbild für verschiedene Plattformen verwendet? Ebenfalls spannend sind Metadaten, die sich auch in PDFs, E-Mails, Tweets oder Websites befinden – und Aufschluss über Eigentümer, Server oder Domain geben können.

Bei der Onlinesuche denken viele zunächst an Google. Doch es gibt noch weitere Suchmaschinen wie z.B. Bing und DuckDuckGo, die teils unterschiedliche Ergebnisse liefern. Was viele nicht wissen: Auch Facebook eignet sich zur Suche nach Personen. In der US-amerikanischen Version bietet das soziale Netzwerk eine Fülle an Operatoren. So lassen sich mit der Suche nach „People who live in Vienna“ Menschen aus Wien finden.

Das Konzept lässt sich auch auf andere Möglichkeiten ausweiten: Mit der Suche nach „UNIQUA employees“ lassen sich Mitarbeiter des Unternehmens UNIQUA ausfindig machen. Diese Suchen können auch miteinander kombiniert werden, um beispielsweise mit „UNIQUA employees who live in Vienna“ noch geeignetere Personen für seine Geschichte zu finden. Außerdem kann man auch nach Geschlechtern („Male UNIQUA employees…“), Interessen („Male UNIQUA employees who like Skiing…“) oder sogar geschlossene Gruppen („Closed Groups joined by…“) suchen.

Man sollte jedoch im Hinterkopf behalten, dass es immer noch viele Menschen gibt, die einfach nicht online und dementsprechend im Netz auffindbar sind. Daher ist auch die klassische Offline-Recherche nicht zu vernachlässigen. Online wie offline sollte man in jedem Fall mit Kollegen im In- und Ausland, Forschern, NGOs und anderen Experten kooperieren. Die verwendeten Beispiele stammen von Marcus Lindemann selbst. Diese und weitere Hinweise lassen sich auch in seiner Präsentation nachlesen unter https://bit.ly/2mEHQ8S

 

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