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Background – der Algorithmus für eine bessere Diskussionskultur

Gerade in Krisen ist konstruktiver Austausch essenziell, um freie Meinungsbildung zu ermöglichen und Rahmenbedingungen für einen lebendigen Diskurs zu schaffen. Studierende der RWTH Aachen haben sich über den Verein Enactus Aachen e.V. zusammengefunden, um genau diesen Prozess aktiv zu unterstützen. Mithilfe einer App wollen sie Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven vernetzen und unterstützt durch Empfehlungen zu einem konstruktiven Dialog anregen. Dazu nutzt das Team einen Algorithmus, der den Einfluss des Welt- und Menschenbilds des Gesprächspartners oder der Gesprächspartnerin berechnet. Background ist eines von vier Fellowship-Teams in Batch #6 des Media Innovation Fellowships. Mittlerweile hat sich das Team vergrößert, den ersten Prototyp evaluiert und Kontakt zu möglichen Nutzendengruppen aufgenommen. Wir haben mit Fabian Beuter von Background über politischen Austausch, gelebtes Demokratieverständnis und den Antrieb gesprochen, die Welt ein Stückchen besser machen zu wollen.

Lieber Fabian, was ist das Ziel des Background-Teams?

​​​Wir möchten eine Plattform bauen, um kontroversen Dialog nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa oder irgendwann auf der gesamten Welt zu verbessern. Dabei gehen wir mit einer innovativen Herangehensweise vor: Wir haben einen Algorithmus geschrieben, der das Welt- und Menschenbild der jeweiligen Personen in das Gespräch integriert. Das bedeutet konkret: Du lädst Dir die App runter und beantwortest Fragen zu kontroversen Themen, aber auch zu Themen, die dein Welt- und Menschenbild repräsentieren. Der Algorithmus analysiert die Antworten vieler Nutzenden und berechnet, welche Annahmen dafür verantwortlich sein könnten, dass ein Gespräch zwischen dir und einem Freund nicht funktioniert. Theoretisch lässt sich dieser Algorithmus auch außerhalb der App einbinden und anwenden.

Kannst Du das mal an einem Beispiel genauer erläutern? Wie sieht das konkret aus?

Als Beispiel: Angenommen, Trump wird in den USA wiedergewählt. Jetzt denken vielleicht viele Leute in Deutschland – mich eingeschlossen: Wie kann es sein, dass er wiedergewählt wird?

Es kann sein, dass ich das nicht verstehen, aber trotzdem daran interessiert bin, die Motive, der Menschen, die das tun, etwas besser zu verstehen. Ich könnte jetzt auf Social Media gehen und versuchen, auf Facebook oder Twitter mit jemandem zu diskutieren. Ich kann aber vorhersagen, dass das nicht sonderlich gut funktionieren wird: Es ist ein offen einsehbarer Dialog. Es kann geliked werden, es kann kommentiert werden. Grundsätzlich sind bei solchen Diskussionen eher Menschen beteiligt, die bewusst ihre Meinung durchsetzen wollen, anstatt über Gegenargumente nachzudenken. Was ich stattdessen machen könnte, ist: Ich könnte (wenn sie fertig ist) in unsere App gehen, um mich anonym mit einem anderen Menschen zu vernetzen, der in den USA lebt und Trump gewählt hat. Jetzt bin ich in einem 1:1-Chat-Raum, da gibt es keine Likes, keine Kommentare, ich kann mich mit der Person austauschen und ich habe – das unterscheidet uns von anderen Plattformen, die etwas ähnliches versuchen – ich habe jetzt den Algorithmus, der mir vorher Empfehlungen gibt und sagt: Hey, in dem Gespräch mit der Person, die du ja gar nicht kennst, könnte es sein, dass diese Themen zu Problemen führen, vielleicht hast du das im Hinterkopf. Und genau das soll eben dazu führen, dass zwei Menschen sehr viel besser über ein Thema diskutieren können.

Okay, und gibt es den Algorithmus schon?

Wir haben einen Algorithmus geschrieben, der zwei zufällige Menschen matched und berechnet, welche Fragen, die das Welt- und Menschenbild repräsentieren, für eine Meinungsverschiedenheit verantwortlich sein könnten. Der Algorithmus kann die Themen jedoch nicht inhaltlich verstehen, sondern arbeitet nur mit Korrelation. Aus dem Grund werden alle Fragen auf einer Skala beantwortet. Wir haben bei der Auswertung festgestellt, dass zum Beispiel Menschen, die sich für die Rechte von Frauen einsetzen, auch tendenziell pro Umweltschutz sind. Der Algorithmus versteht den Kontext nicht und könnte folgendes machen: Wir diskutieren über das Thema Frauenquote und der Algorithmus sagt mir, dass du gar nicht an den Klimawandel glaubst, weil er denkt, das gehört zusammen. Das Problem ist, dass das mit dem Thema überhaupt nichts zu tun hat. Deshalb müssten irgendwo Menschen eingreifen und Feedback geben.

Unsere geplante Lösung könnte wie folgt aussehen: Du chattest anonym mit anderen Personen und erhältst Empfehlungen. Du und die andere Person können diese Empfehlungen bewerten. Du kannst also sagen: Dass Frauen gesellschaftlich benachteiligt sind, ist für diese Debatte sinnvoll, aber Klimawandel? Eher nicht. Die Informationen werden an den Algorithmus als Feedback zurückgeschickt und er wird daraus lernen. Je mehr Menschen dieses Feature nutzen, desto genauer wird der Algorithmus und desto bessere Empfehlungen wird er in Zukunft geben.

Wie ist Euer Team zusammengesetzt und wer kann was?

Wir sind Teil von Enactus Aachen e.V , das ist eine globale, gemeinnützige, studentische Organisation, die Social Entrepreneur-Projekte zu verwirklicht und als Inkubator dient. Und wir sind jetzt gerade mit Background Teil von Enactus, das heißt, wir haben die Chance, jedes Semester andere Studierende von der Idee zu begeistern und sie mit uns ins Team zu holen.

Das Kernteam von Background besteht aktuell aus acht Personen, die sich auf verschiedene Bereiche konzentrieren. Celine studiert Kommunikationsdesign und kümmert sich um das Design der App und andere visuelle Elemente. Almut studiert Informatik und ist für den Backend-Bereich zuständig. Unterstützt wird sie von Denis, der sich auf den Frondend-Bereich konzentriert und ebenfalls Informatik studiert. Leo und Mert arbeiten zusammen an Strategiethemen und studieren, genau wie Georg, der sich auf Finanzen und Recht spezialisiert, Wirtschaftsingenieurwesen. Naman betreut die Außendarstellung der App und hilft bei der Entwicklung von Marketingstrategien.

Von mir (Fabian) kam ursprünglich die Idee für das Projekt, die wir allerdings seitdem im Team weiterentwickelt haben. In meiner Rolle als Projektleiter kümmere ich mich um organisatorische Dinge wie den Terminplan und darum, dass alle Deadlines eingehalten werden. Ich kann allerdings auch Programmieren und werde mich auch in den technischen Entwicklungsprozess einbringen.

Der Unterschied zwischen uns und den anderen Teams im Media Innovation Fellowship ist offensichtlich: Wir sind deutlich mehr Leute, aber wir studieren alle noch. Deswegen können wir im Kontext unseres Studiums auch immer mal für kurze Zeit nicht so intensiv mitarbeiten, wenn wir beispielsweise Praktika absolvieren oder Abschlussarbeiten schreiben. Das ist aber kein Status, in dem wir bleiben wollen. Wenn wir Background weiterbringen und daraus ein Startup gründen möchten, müssen wir uns dazu verpflichten und es nicht nur halbherzig machen. Das heißt, der naheliegende Plan ist, dass wir irgendwann zwei bis drei Leute von dieser Gruppe an Menschen definieren, die sich dann etwas mehr darauf fokussieren.

 

 

Eine Eurer Annahmen ist, dass sinnvolle Diskussion im Internet möglich ist. Wie kommt Ihr darauf?

Ich glaube, dass sinnvolle Diskussionen sowohl im normalen Leben als auch im Internet grundsätzlich möglich sind. Die Frage ist nur: Wie sieht der Rahmen dafür aus? Ich glaube, es gibt genug Menschen, die Lust auf ehrlichen Austausch haben. Leider herrscht im Internet oft das Prinzip: „Wer am lautesten schreit, wird am ehesten gehört“. Das führt dazu, dass in bestimmten Kommentarspalten oft nur Idioten unterwegs zu sein scheinen.

Wir glauben, dass es anders möglich ist. Wenn wir eine Plattform schaffen, die Dich 1:1 direkt in eine Diskussion verwickelt, ohne Proleten oder Likes, dann kann das Gespräch tatsächlich laufen. Die andere Person kann jederzeit das Gespräch auflösen, daher ergibt es keinen Sinn, beleidigend zu werden oder nur seine Meinung durchzudrücken.

Gibt es eine Nachfrage nach dem Produkt? Gibt es sowas schon? Wie habt Ihr versucht, das herauszufinden?

Am Anfang des Projekts haben wir eine Umfrage gestartet und Menschen befragt, die auf Plattformen im Internet diskutieren. Wir haben niemanden von Enactus, keine Freunde und keine Bekannten befragt. Wir sind in verschiedene Facebook-Gruppen gegangen und haben auch auf Reddit und Jodel gepostet.

Innerhalb weniger Tage haben wir etwa 500 Menschen dazu bewegt, an unserer 15-minütigen Umfrage teilzunehmen. Wir haben angeboten, dass die Personen, die an weiteren Informationen von uns interessiert sind, ihre Mailadresse angeben können. Am Ende der Umfrage waren es fast 700 Teilnehmende, von denen uns ca. 400 ihre Mailadresse gegeben haben – bei einer anonymen Umfrage im Internet, was wir sehr beeindruckend finden.

Da wir hier nur Informationen gesammelt haben, um das Konzept hinter dem Algorithmus zu evaluieren, tauschen wir uns zudem mit anderen potenziellen Nutzenden, um das App Konzept zu validieren. Aktuell treffen wir uns mit politischen Jugendorganisationen, die wir als sehr spannende und relevante Zielgruppe für uns identifiziert haben.

Wenn wir von politischen Jugendorganisationen sprechen, gibt es in Deutschland 250.000 Menschen, die wir in dieser Zielgruppe sehen. Wenn nur 10 % von ihnen die Background-App nutzen würden, sind wir bei 25.000 Menschen. Und das ist nur in Deutschland – wir planen auch, langfristig in Europa und den USA zu expandieren. Wir sind davon überzeugt, dass es genügend Menschen geben wird, die unser Produkt nutzen wollen.

Manchmal werden wir auch gefragt, ob wir Querdenker und Verschwörungstheoretiker auch als Zielgruppe sehen und wie wir damit umgehen wollen. Das ist eine valide Frage, allerdings muss das Ziel nicht per se sein, mit unserem Produkt alle Menschen in Deutschland zu erreichen.

Wo wollt Ihr das Geld dafür herbekommen? Und wie weit seid ihr bei der Entwicklung eines Businessmodells?

Unsere Strukturen erlauben es uns, zumindest für den Anfang mit wenigen finanziellen Mitteln, weit zu kommen. Studierende, die sich bei Enactus Aachen und somit auch in unserem Projekt engagieren, tun das nicht aus monetärem Interesse, sondern weil sie die Vision hinter der Idee teilen. Erst wenn wir wachsen, entstehen größere Kosten, die dann durch ein Business Model gedeckt werden müssen. Hier hilft uns das Media Innovation Fellowship weiter, da wir mit kompetenten Coaches über unsere Weiterentwicklung und unser späteres Geschäftsmodell sprechen können.

Eine Idee für unser Geschäftsmodell ist, dass eine Frage pro Tag von einem Unternehmen gesponsert wird. Zum Beispiel könnte die Frage lauten: „Wärst du bereit mehr für Produkte zu bezahlen, wenn die Verpackung nachhaltiger produziert wird?“. Die Frage könnte von einem großen Lebensmittelhersteller gesponsert sein, der in der Fragenbeschreibung seine neue, nachhaltige Produktpallette bewirbt.

Das könnte aber auch ein Podcaster sein, der eine kontroverse Frage stellen will, die in seinem Podcast behandelt wird, um so seine Reichweite zu erhöhen.

Das heißt, wir möchten gerne mit Unternehmenskooperationen arbeiten. Aber nicht, indem wir nervige Werbebanner einblenden, sondern indem wir in einem Kontext, in dem sich die Nutzenden ohnehin aufhalten, eine gesponserte Frage stellen. Die Hoffnung wäre dann, dass diese Kooperationen uns genügend finanzielle Mittel einbringen, um uns selbst zu tragen.

​​​​​Die Nutzenden haben keine Nachteile davon und die Unternehmen profitieren, weil Menschen über ihre Inhalte sprechen, sie über deren Themen nachdenken und weil sie eben auch sehen können, wie zum Beispiel Freundinnen und Freunde auf diese Werbung reagiert haben. Das ist nochmal ein viel interaktiveres Medium als ein normales Werbebanner.

Ihr seid ein Startup, das sich um Diskussionskultur kümmert und versucht, sie zu verbessern. Ihr entwickelt ein Tool, um genau das zu ermöglichen und dann wäre es natürlich cool, wenn Ihr das im Team nutzen würdet, um eigene Entscheidungsprozesse voranzubringen, weil Ihr auf Eurem Weg ständig Entscheidungen treffen müsst. Wie muss man sich das bei Euch im Team vorstellen? Wie diskutiert Ihr da und was sind Eure Tools?

Wir sind eine großes Team, aber es müssen nicht immer alle bei jedem Thema dabei sein, sonst würden die Meetings nicht produktiv genug sein. Wir treffen uns einmal pro Woche mit allen und besprechen, was in der vergangenen Woche passiert ist und was die nächsten Schritte und Aufgaben sind. Wir sind grundsätzlich sehr demokratisch organisiert, das heißt, wenn jemand Einwände hat, werden diese immer gehört und diskutiert. Das kann dazu führen, dass man auch mal länger über ein Thema diskutiert. Um zu vermeiden, dass es ausartet, priorisieren wir und diskutieren Details nochmal in kleinerer Runde.

​​​Grundsätzlich sind alle von uns in Aachen. Wir versuchen uns für das wöchentliche Plenum immer in Person zu treffen. Allein für den menschlichen Austausch ist es superwichtig, danach nochmal ungezwungen zu sprechen, was ja in einem Call meistens nicht möglich ist. Wir sind Mitglied im Collective Incubator, das ist ein Coworking-Space hier in Aachen. Entweder treffen wir uns dort, privat bei Freunden oder online, wenn es gar nicht anders geht.

Für Aufgaben nutzen wir Trello, damit wir einen Überblick haben und Wissen sammeln können. Wir nutzen Microsoft SharePoint, um Dokumente abzulegen und Microsoft Teams, um zu diskutieren. ​​ Für die Projektverwaltung nutzen wir Gitlab im Entwicklerteam, das ist die kostenpflichtige Version von Github, die wir als Studierende umsonst bekommen.

Grundsätzlich haben wir eine WhatsApp-Gruppe für super schnellen Austausch, für Mindmaps etc. Miroboards. Wir haben also sehr viele Tools in Gebrauch.

Um nochmal die Frage von vorhin aufzugreifen: Gibt es ein solches Produkt schon? Ich erinnere mich zum Beispiel an Liquid Democracy von der Piratenpartei. Da geht es auch darum, einen Dialog herzustellen. Kennt Ihr solche Projekte? Und was unterscheidet Euch von Ihnen?

​​​ Natürlich schauen wir uns vergleichbare Projekte an. Wenn man ein Produkt entwickeln will, ist die erste Frage immer: Gibt es das schon? Hat das schon jemand gemacht? Die nächste Frage ist dann: Warum hat das noch niemand gemacht und wenn doch: Warum war es nicht erfolgreich? Wir haben uns definitiv damit auseinandergesetzt. Ich habe sofort zwei Projekte im Kopf: Das eine ist die „Diskutier mit mir-App“. Das ist auch eine App mit Fragestellungen zu politischen Themen und Menschen werden anonym vernetzt.
Ein anderes Beispiel ist „My Country talks“ von ZEIT Online, das auch bewusst zwei Menschen zusammenbringt, die nicht einer Meinung sind. Mit diesem und dem Vorgänger-Projekt hat ZEIT Online bis jetzt rund 200.000 Menschen vernetzt, die Lust haben, sich auszutauschen. Allerdings lag hier der Altersdurchschnitt relativ weit oben. Wir glauben, dass auch jüngere Generationen an solchen Möglichkeiten interessiert sind und dass wir dafür ein passendes Angebot schaffen können.

Wenn Menschen jetzt das Interview lesen und sich sagen: Ich hätte gern Bock, Euch zu unterstützen. Wie kann man das tun? Kann man sich euch anschließen? Auch wenn man nicht Mitglied bei Enactus ist?

Grundsätzlich ja, wir freuen uns immer über Unterstützung! Auf unserer Webseite gibt es eine E-Mail-Adresse, um uns zu kontaktieren. Wir würden uns sehr über Unterstützung aus Aachen freuen, da man sich dann persönlich kennenlernen kann, aber auch gerne von überall anders. Wir schätzen aber auch Menschen sehr, die sich schlicht mit Kritik oder Feedback an uns wenden!

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